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PFLEGE DES SCHRIFTSTELLERISCHEN LEBENSWERKES VON MILÁN FÜST
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Milán Füst, die ungarische Moderne und der Kurzroman

Begreifen wir die Epochen, die Richtungen und die Lebenswerke nicht allein als einen Rahmen von Perioden, sondern als Dialog, so stellt sich uns die Moderne ebenfalls als ein Prozess dar, der sich in einen seit Langem stattfindenden Dialog fügt, Antworten auf neue Fragen gibt, nach der Vergangenheit fragt und so weitere Fragen provoziert, die bereits ihm gegenüber Argumente in der Diskussion anführen. Das auf die Synthese ausgerichtete begriffliche Denken aber ist gezwungen, diesem unendlichen Prozess Einhalt zu gebieten und jenes Paradigma zu suchen, das die Erneuerung zu Beginn des 20. Jahrhunderts von den früheren Epochenwechseln unterscheidet. Früher bemühte man sich, die Epochenwechsel mit historischen und gesellschaftlichen Referenzen, die den Werken immanent sind, oder zumindest mit metaphorischen Formulierungen zu belegen; das ontologische Wesentliche der literarischen Moderne jedoch erforderte eine Bestimmung nach dem Eigenprinzip. Diese richtete sich nach zwei Idealen: einerseits nach der poetischen Autonomie, andererseits nach dem Ausdruck des Individuums und zu Beginn dem Subjektivismus.

Diese beiden Ideale waren jedoch nicht allein die Produkte der reinen Vernunft und der schriftstellerischen Werkstätten, sondern hingen auch von den wirtschaftlichen und gesellschaftshistorischen Veränderungen der Zeit ab und waren Ausdruck derselben. Der Ausgleich zwischen den Habsburgern und Ungarn 1867 sowie die daraufhin entstandene Österreichisch-Ungarische Monarchie führten innerhalb einiger Jahrzehnte in Ungarn zu einem blühenden Kapitalismus und ließen parallel dazu das ungarische Bürgertum entstehen, das auch in seiner widersprüchlichen Situation der neuen urbanen Lebensform, der neuen Ideenwelt, der Moral und dem neuen Geschmack entsprechend zu leben wünschte. Die prämoderne und moderne ungarische Literatur drückte diese Ideale und Lebensmotive als Erstes aus und erkannte später auch die Veränderung der eigenen Rolle. Zunächst strebte sie gegenüber der Politik und Macht nach Unabhängigkeit und ging dann auch in der Literaturauffassung von der Geltendmachung der eigenen inneren Gesetze aus. Dieser Prozess stand weiterhin in Wechselwirkung mit dem Kennenlernen und dem Einfluss der progressiveren westlichen Literaturen und glich einerseits, zuweilen verspätet, das diesbezügliche Manko aus, förderte aber andererseits auch den zeitgleichen weltliterarischen Dialog. Es ist wohl kaum als Zufall zu bezeichnen, dass sich die unzufriedenen Schriftsteller der Zeit als Erstes dem Naturalismus zuwandten, der sie von den Auflagen des zuvor herrschenden idealisierenden Realismus befreite. Danach führten die einander folgenden modernen Richtungen gleichzeitig den Gedankengang ihres Vorläufers weiter und übernahmen neue Paradigmen. So folgte auf den Naturalismus der Impressionismus, der Jugendstil, der Symbolismus und dann die Avantgarde. Infolge der Hinfälligkeit der Epochenstile in der Weltliteratur und der geistigen Verspätung in Ungarn schoben sich die modernen ungarischen Richtungen übereinander. Wie der Dichter-Repräsentant der literarischen Moderne Endre Ady schrieb: „Bei uns sind Herbst, Winter, Frühling und Sommer aufeinander getroffen“. Dies bezeichnete auch schon die Literaturgeschichte der Zeit als Stilpluralismus.

Zur Verkörperung des Paradigmenwechsels der ungarischen Moderne wurde im Jahr 1905 der bereits erwähnte Endre Ady, 1908 dann die Zeitschrift und der Zusammenschluss der modernen Bewegung: Nyugat [Westen]. Während die prämoderne Epoche das literarische Wörterbuch mit ihrer urbanen Schicht nur erweiterte, sprengte die Bewegung um Nyugat die ererbten Dichtungsgrammatiken, die Tiefenstruktur und das traditionell Literarische. In der ungarischen Literaturgeschichtsschreibung ist es ein Gemeinplatz, dass als die drei wichtigsten Komponenten der ungarischen literarischen Revolution das Schaffen einer autonomen Sprache, das symbolistische Programm und die neue Auffassung des Ichs, das durch die Verbürgerlichung in den Vordergrund gestellt wurde, galten. Ady und die Mehrzahl der Dichter um Nyugat waren von dem Wunsch geleitet, das Individuelle, das Ich-Bewusstsein auszudrücken. Vor allem durch den Einfluss der Malerei erkannte der Kunsthistoriker und Kunstphilosoph Lajos Fülep auf den Spuren Cézannes bereits 1908, dass nach dem empirischen Ich die moderne Kunst und Literatur erneut das metaphysische Ich  der kultischen Zeiten entdecken und neu formulieren muss. Zeitgleich mit Fülep drückte der Philosoph und Ästhet György Lukács denselben Gedanken aus, als er seinem Artikel, der sich mit dem Subjektivismus von Nyugat auseinandersetzte, den Titel gab: Die Wege haben sich getrennt (1910).

Das Programm und die Praxis, die dem unerlässlichen zweiten Epochenwechsel der ungarischen Moderne vorangingen, verwirklichte jedoch unabhängig von den Initiatoren der Zeitschrift Nyugat noch im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts der einige Jahre jüngere Milán Füst (1888–1967). Sein biblisch prophetischer Ton und die dazu passende, den Rhythmus nur andeutend bewahrende, aus langen Verszeilen bestehende Komposition stellte zwischen seine subjektiven Aussagen und Ausdrücke eine Rolle, die diese Lyrik objektivierte, von vornherein transponierte und gedanklich universal machte. Der Redakteur der Zeitschrift Nyugat sowie deren Dichter reihten die einsame Dichtung Milán Füsts von Beginn an unter ihre eigenen pluralistischen Werte ein.  Und welch integriertes Lebenswerk diese Konzeption zu schaffen vermochte, das belegen Milán Füsts Werke anderer Gattung. Seine bedeutendsten Romane und Dramen dienten ebenfalls nicht dem Augenblick und der Darstellung der nationalen Gesellschaft, sondern erneut der Universalität, zuweilen mit Verwendung historischer Themen. In diesen ist das Historische Metapher und zugleich Mittel zur Distanzierung, so wie in den Gedichten der prophetische Ton. Sein in viele Sprachen übersetzter großer Roman Die Geschichte meiner Frau schafft in der Welt des zwanzigsten Jahrhunderts das universale Umfeld, indem er seinen Protagonisten dem konkreten Raum und der Zeit enthebt, die Gattung hingegen dem sich gegen den Entwicklungsroman wendenden pikaresken Roman annähert.

Die hervorgehobenen Werke können selbstverständlich nur die Pfeiler des Lebenswerkes und des schriftstellerischen Gedankengangs andeuten, der integrierende Prozess selbst lässt sich besser anhand der Kurzromane beobachten, von denen er den ersten, Lachende Gesichter, 1917, den letzten, Szívek a hínárban [Herzen im Laichkraut], 1959 beendete. Milán Füst, der berühmt dafür war, an seinen Überarbeitungen und seiner individuellen Orthographie festzuhalten, nannte diese Werke (getrennt geschrieben) kurze Romane, poetisch unterschied er die größeren und kleineren epischen Untergattungen also nicht. Die genaue Lektüre belegt allerdings, dass die Kurzromane – trotz ihrer verschlungenen, abenteuerlichen Geschichten – jeweils ethischen oder ontologischen Überlegungen folgen. Wie der gute Freund und Kollege Milan Füsts, Dezső Kosztolányi, formulierte: In den kleineren epischen Werken bleiben die Türen offen stehen, die Figuren treten überraschend vor uns, die Gegenstände haben nur den Anschein von Requisiten.

Der Abgrund, der dritte in der Sammlung von Kurzromanen Milan Füsts (1929), schildert die Odyssee eines Professors oder nach der selbstreflektierenden Bestimmung des Schriftstellers die Geschichte seiner Wanderschaft. Der Protagonist begibt sich aus einer wohlhabenden, konsolidierten bürgerlichen Familie auf den Weg, und nur seine schlechte Laune nach dem Aufwachen erfüllt den Leser beim Nachempfinden der dargestellten Idylle mit Sorge. Dieses Gefühl lassen die Aufgaben, die der Protagonist an der Universität erfüllen muss, erst einmal vergessen, wobei die Erfüllung derselben zugleich durch Routine und Zeremonialität gekennzeichnet sowie von einer äußeren und inneren Ironie durchdrungen ist: auch der ironische Lehrer verdient das kritische Lächeln des Autors. Diese innere Welt öffnet sich dann, als der Professor zwei seiner Studenten zum Mittagessen einlädt und dabei eine Unterhaltung voller gedanklicher Fallen mit ihnen führt, die deren Charakterzüge ans Tageslicht bringt, die demütige Bereitschaft und eine Überheblichkeit, die rasch ins Schwanken gebracht werden kann. Bei dieser Unterhaltung erfüllt den Protagonisten kein Erfolgserlebnis, was wir ihm zugute halten können, denn die Partner seiner listigen geistigen Spiele sind ihm ausgelieferte Studenten. Daher scheint es zwar zunächst unerwartet, doch psychologisch trotz allem logisch, dass er sich nach dem Mittagessen, von sich selbst enttäuscht, in einen verlassenen Winkel eines Kaffeehauses setzt, um nicht nach Hause gehen zu müssen, da ihn nur mehr Erinnerungen an die Kindheit mit einem Gefühl der Freude erfüllen.

Die folgende Station seiner Wanderschaft ist die Wohnung seiner einstigen Liebsten, wo er ein Wortgefecht mit dem bereits verlassenen Ehemann führt. Das neue Boudoir der Frau ist der Inbegriff der Geschmacklosigkeit und des ästhetizistischen Schwelgens. Auch in der Fortsetzung der Wortgefechte erscheint eine Steigerung. Die Frau ist noch geistreicher und wacher als ihr verlassener Mann: Sie ist in der Lage, einerseits den Fallen des Professors auszuweichen, andererseits ihn mit der Erinnerung an ihre bürgerliche Ehe ebenfalls anzugreifen. Hinter diesem Duell der Verletzungen verbergen sich selbstverständlich die Auffassung des Individuums von der Freiheit sowie die Wechselwirkung von Güte und Sünde.

Die Wanderschaft setzt der Protagonist von der Bühne dieses geistigen Duells fort, als sich herausstellt, dass die schöne Frau gerade ihren neuen Verehrer, den Honvéd-Husar und Baron Rezső Magas, erwartet, den Schwager des Professors. Unter dem Gesichtspunkt der Erzählung ist es gleichgültig, ob die Fortsetzung der Wanderschaft, die in das Hotelzimmer des Obersts führt, geplant oder eine spontane Idee ist. Das Wesentliche bleibt, dass wir uns wieder auf einer Bühne befinden und erneut Zeugen eines Wortgefechts werden. Ebenfalls unsicher ist die Motivation der einzigen Wende der Handlung: Der Professor bietet dem Oberst seine Ehefrau an. Und wieder führen die sich dahinter verbergenden Argumente und Gegenargumente den Gedankengang des Kurzromans weiter: Die Frage besteht darin, ob der Boheme und Frauenheld wirklich ein freierer Mensch ist als der Professor, der dem Nichts ins Auge schaut. Die Antwort darauf wird im inneren Monolog des Protagonisten formuliert: Dem Menschen wohnen zwei Seelen inne, die eine ist die lebende, die andere die beobachtende; es ist die Praxis, die das Leben wertet, nicht aber die Theorie.

Die zwischen Geplantheit und Improvisation schwebende Handlung zeigt hiernach auch den Professor in einem Zimmer im Hotel des Obersts und führt ihn nun bereits aus seinen persönlichen Welten und geistigen Kämpfen heraus: Er wird von einem Traum überrascht, von einem Traum von einem riesigen, rotierenden, sich nähernden Stern, den der Wunsch nach Erfüllung lenkt. Sein Erwachen am Nachmittag führt ihn aus der Nacht in die Nacht und erfüllt ihn mit dem Gefühl der Freiheit. Dieses Gefühl auferlegt ihm allerdings weitere Zwänge: Was soll er mit dieser Freiheit anfangen? Seine Antwort ist vorerst, nie wieder einen Stift in die Hand zu nehmen, sondern zu leben. Die Wanderschaft führt ihn somit ins Leben zurück, was allerdings sogleich als ein zweideutiger Schritt erscheint, denn er stellt die Freiheit der Kneipen und der Betrunkenheit den lebensfremden Prinzipien gegenüber. Von diesem toten Punkt bewegt ihn wieder ein Zufall fort: Auf dem Weg von Kneipe zu Kneipe taucht sein ehemaliger Mitschüler, der Maler Pötykös, auf, dessen natürliches Umfeld das Trinken, das Kartenspiel und die Armut sind. Allmählich beginnen sie eine Unterhaltung über Erinnerungen aus der Schulzeit, die Glückseligkeit und die Freiheit, deren Zusammenfassung auf der Ebene der Handlung darin besteht, dass der Professor seinen städtischen Pelz gegen den schäbigen Überzieher des Malers eintauscht, als würde er die Freiheit von ihm erkaufen. Die wahre Wende schafft jedoch eine für Erzählungen mit Rahmenstruktur charakteristische, eingeschobene „Geschichte“: der innere Monolog des Malers Pötykös über die Freiheit. Dabei handelt es sich um keine Geschichte im eigentlichen Sinne, sondern um eine Reihe von Erinnerungsfragmenten. Es ist die Erinnerung an ein kleines Kind, das ewig seinen Reim aufsagt, und sie wirft damit jene Frage auf, ob der Maler wohl ein Kind will oder nicht. Die andere Erinnerung handelt von einem tiefblauen Krug, in dessen Tiefe Stille haust. Danach kehrt die Erzählung zum Dialog der beiden einstigen Schulfreunde zurück, dessen Bedeutung darin liegt, dass der Maler hier seine Lebensphilosophie darlegt: man muss auf schiefer Ebene leben können. Natürlich hat auch diese „Lebensphilosophie“ keine Definition, sondern wird durch Träume, Gefühle und Lebensfragmente formuliert. Dieser Art ist der Traum eines Schusters von der Wende in seiner Karriere: Einst war er Buchhalter, doch eines Tages bemerkte er, dass statt Zahlen ein großer Schuh auf seinem Papier lag. Ist dies ein Irrtum oder die schiefe Ebene? Und was ist die Freiheit Pötykös’ von hier aus betrachtet wert? Er möchte ein Kind und auch wieder nicht, denn als vor ihm das engelsgleiche Lächeln des Kindes erscheint, wendet er sich ab, seine Freiheit ist also Unglückseligkeit. Natürlich mündet auch dieses Gefecht der Ideen in Trunkenheit, und als der Professor aus seinem Rausch erwacht, findet er sich ausgeraubt vor. Als hätte ihm sein Freund Pötykös, der auch sein Mörder hätte sein können, da ihn sein Vorleben in der Nervenheilanstalt ohnehin von den rechtlichen Konsequenzen seiner Taten freispricht, sogar das Leben entwendet. Schließlich bleibt jene Erinnerung an ihn, aus Gefallen eine schöne Frau getötet zu haben, die immerfort die folgenden Wörter auf verschiedene Papierstücke schrieb: ‚nicht leben, nicht leben!’. Und als hätte der Professor den Maler schließlich darum gebeten, auch ihm einen solchen Gefallen zu tun.

Wir sehen: Diese Erinnerungsfragmente erscheinen als Lebensbilder, da der Professor während seiner Odyssee wieder einsam wird. Er ringt nur mehr mit sich selbst und sucht nach den Lehren, die aus der chaotischen Nacht zu ziehen sind. Doch was sicher ist, ist der Wert der Stille sowie die Erkenntnis, dass er die Sünde durch Sünde vernichten will. Dies ist ein Grenzbereich, in den er der menschlichen Seele nicht mehr zu folgen wünscht. Er hat das Gefühl, wir könnten uns nur durch Wahnsinn von unserem Wahnsinn befreien. Vergebens versuchen wir, unsere Dämonen zu zähmen. Der Abgrund befindet sich in uns. Das Dazwischen, das wir wirklich sind und das wir leben.

Die letzte Station ist sein Zuhause. Doch das Ende der Wanderschaft bedeutet keine Rückkehr. Seine Ehefrau empfängt ihn gleichgültig und überheblich, als sei sie jenseits von Leben und Tod, doch ihre Augen füllen Tränen. Die weiche und behutsame Ruhe erschöpfter Herzen umfängt die beiden. Einige lakonische Fragen und Antworten erledigen, was der bürgerliche Anstand gebietet. Währenddessen überwältigt den Professor jedoch eine ganze Flut merkwürdiger Gefühle, über die er nicht mehr berichten kann und auch nicht will. In ihm erwächst eine unerträgliche Bedrängnis, und er nimmt die ganze Welt um sich herum als beängstigend wahr. Doch was danach geschah – so beendet er seinen inneren Monolog –, das war schon uninteressant. Und ich kann es schon allein deswegen nicht erzählen – lauten die letzten Worte des Kurzromans –, weil es mich mehr als alles andere mit Scham erfüllt. Ich bin alt geworden.

Was ist das? Das Alter oder das Nichts? Beides. Das eine ist das Leben, das andere die Empfindung des Daseins.

Bereits zum Ende des 19. Jahrhunderts konnte der Leser beobachten, dass insbesondere in der Kleinepik die Handlung und die kausale Ordnung in den Hintergrund rückten. Die Schriftsteller wollten nicht mehr allein gesellschaftliche und historische Entwicklungen darstellen, sondern waren von einem umfassenderen Menschenbild geleitet. Ziel war, das seit Langem dargestellte gesellschaftliche und geschichtliche Leben mit jener Erkenntnis zu verbinden, dass unser Leben auch über psychologische und ontologische Dimensionen verfügt. Der idealisierende Realismus und der Entwicklungsroman, den die Moderne vom 19. Jahrhundert ererbt hatte, nutzten die Handlung und das Prinzip der Kausalität zum Ausdruck und zum Nachweis der gesellschaftlichen und historischen Zusammenhänge im Hinblick auf den Menschen. Der Schriftsteller der Moderne erachtete hingegen ein mehrdimensionales Menschenbild für authentisch und glaubte – auch beeinflusst durch die skeptische Philosophie der Zeit – nicht an das rationalistische kausale System. Daher wandte sich der Schriftsteller der Moderne davon ab. Diese Problematik warf auch die Zeitschrift Nyugat auf, als sie bereits in ihrer ersten Ausgabe im Jahr 1908 den Essay Der Tod des ’Märchens’ von Gyula Szini veröffentlichte, der als eine Art Theorieersatz bezeichnet werden kann.

Die verschlungene Wanderschaft des Protagonisten aus Der Abgrund dient keinerlei Entwicklungsgeschichte, auch der Aufbau richtet sich nicht nach dem rationalistischen Prinzip der Kausalität, ja er scheint zuweilen eher willkürlich. Während der Entwicklungsroman in seinem Längsschnitt – in Raum und Zeit – seine Helden auf dem Weg zu den Idealen darstellt, bietet der pikareske Roman Der Abgrund einen Querschnitt des Menschenbildes, das universale und beständige Wesentliche. Die Abenteuer der Figuren finden in den Abgründen der Seele und des Daseins statt.

Hier ist der Stil kein Mittel, sondern eine Zelle, ein Ziegel, aus dem sich die Romanstruktur und der Gedankengang des Autors aufbauen. Die Sprache ist nicht ästhetisch geglättet, sondern eine kreierte Gemeinsprache. Auffallend ist, das die Hauptfiguren in gleicher Weise sprechen: Ihre Sprechweise will keine realistische und noch weniger eine naturalistische Funktion erfüllen, sondern ist Instrument der psychologischen und ontologischen Spiele des Autors – der Wortgefechte, Fallen, Ausführungen und gedanklichen Weiterführungen. Das Medium hingegen ist der erzählte innere Monolog, der sich zuweilen potenziert und die kreierte Gemeinsprache gestaltet. Daher ist zu hoffen, dass der Kurzroman Der Abgrund nicht nur durch seine universale menschliche und gedankliche Welt, sondern auch durch seine Sprache Teil des internationalen Dialogs wird.